IV. Mären, Geschichten und Schwänke
Vor Zeiten einst, vor langen Jahren,
Als Zwerge noch im Lande waren,
Herrscht' in Graubünden grosse Noth,
Es wüthete der schwarze Tod:
Wer Morgens frisch und rosig war,
Lag Abends auf der Totenbahr.
Vom Morgenroth zum Abendschimmern
Hört' man das Sterbeglöcklein wimmern.
Und weiter frass die Pest umher,
Und ganze Höfe starben leer.
Kein Mittel konnt' das Unheil zügeln:
Es füllten sich mit schwarzen Hügeln
Friedhöfe bis an ihren Rand,
Und Noth und Wehklag war im Land.
Doch wunderbar, am Zwergenvolke
Da ging vorüber diese Wolke:
Sie lebten, wie Sie es gewohnt
Und blieben von der Pest verschont.
So dass es klärlich lag am Tage,
Sie kannten Mittel für die Plage.
Doch, was das Zwergenvölklein weiss,
Entlockt ihm weder kalt noch heiss.
Vergebens Bitten war und Fragen,
Denn keinem wollten sie es sagen,
Bis dass ein kluger Bauersmann
Sich endlich eine List ersann.
Er kannte so ein kleines Ding
Von Zwerg, mit Namen Pfifferling,
Der oft die Ziegen ihm gehütet,
Was er dann also ihm vergütet,
Dass er auf einen Stein ihm legte
Die Nahrung, dran der Zwerg sich pflegte.
Ein Löchlein war in diesem Stein,
Das füllte dieser Mann mit Wein;
Veltliner war's von bester Sorte –
Und dann verbarg er sich am Orte.
Das Zwerglein kam alsbald gegangen
Und sah den Wein an mit Verlangen.
Doch sprach es alsofort zu sich:
»Ei Pfifferling, nun hüte dich!
Denn wenn du von dem Weine trinkst,
Und drob in Trunkenheit versinkst,
So schwatzest du – dass dich der Daus –
Am Ende ein Geheimnis aus!«
Doch glänzten ihm die Äugelein –
Wie duftete der edle Wein!
Und auf die Kniee legte sich
Klein Pfifferling und pflegte sich
Begierig an dem edlen Duft,
Sog ein die weingewürzte Luft.
Das Näschen sank ihm immer tiefer
Doch dann erhob er sich, dann rief er,
Indess er mit dem Finger drohte:
»Ich kenne ich, du bist der rothe;
Von dir lass ich mich nicht belauern!«
Allein nicht lange mocht' es dauern,
Da sog er von dem Dufte wieder!
Es rieselt ihm durch alle Glieder!
Die Finger zuckten, um zu stippen,
Die Lippen spitzen sich, zu nippen
Bis, als er dann zu tief sich beugte,
Von jenes Weines duft'ger Feuchte
An seinem Bart ein Tröpfchen blieb –
Das leckte ab der kleine Dieb.
Da wurde die Begierde gross:
»Ein wenig tunken will ich bloss!«
So rief das weinbegierige Ding.
Und also tunkte Pfifferling
Und leckte, tunkend auf und wieder,
Wohl hundert Mal den Finger wieder.
Das Löchlein ward allmählich leer,
Das Zwerglein lustig immer mehr
Und sprach und schwatzte bald genug
So durcheinander dumm und klug.
Da dachte sich der Bauersmann:
»Nun ist es Zeit, nun fang' ich an!«
Er kam aus dem Versteck zu Tage
Und tath an's Männlein diese Frage:
»Nun Pfifferling, sag' mir auf's Best',
Welch Mittel gut ist gegen Pest?«
Das Männchen von dem Steine taumelt,
Ein wenig mit den Aermchen baumelt:
»Das weiss ich wohl!« so spricht es schnell,
»'s ist Eberwurz und Bibernell!
Doch darnach könnt ihr lange fragen!
Mein Lebtag werd' ich's euch nicht sagen!«
Dann tanzt es um den Stein herum:
»Ja, Pfifferling ist nicht so dumm!
Und wer ihn zu belauern geht,
Hat nöthig, dass er früh aufsteht!«
Der kluge Bauer lief zur Stunde
Nach Hause mit der frohen Kunde,
Und alle Leute eilig thaten,
Was der Veltliner Wein verrathen. –
So hat des Bauern Pfiffigkeit
Das Land vom schwarzen Tod befreit.
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