August Schnezler
Glatt ist der See, stumm liegt die Flut,
So still als ob sie schliefe.
Der Abend ruht wie dunkles Blut
Rings auf der finstern Tiefe;
Die Binsen im Kreise nur leise
Flüstern verstohlener Weise:
»Wer schleicht dort aus dem Tannenwald mit scheuem Tritte her?
Was schleppt er in dem Sacke nach so mühsam und so schwer?«
»Das ist der rote Diether, der Wilderer benannt,
Dem Förster eine Kugel hat er ins Herz gebrannt,
Jetzt kommt er, ins Gewässer den Leichnam zu versenken,
Doch unser alter Mummler läßt sich sowas nicht schenken.
Der Alte hat gar leisen Schlaf, ihn stört sogar ein Stein,
Den man vielleicht aus Unbedacht ins Wasser wirft hinein;
Dann kocht es in der Tiefe, Gewitter steigen auf,
Und flieht nicht gleich der Wandrer mit blitzgeschwindem Lauf,
So muß er in den Fluten als Opfer untergehen,
Kein Auge wird ihn jemals auf Erden wiedersehen!« –
Da steht der Frevler an dem See, wirft seine Bürde ab,
Und stößt hinab mit einem Fluch den Sack ins nasse Grab:
»Da, jage du nun Fische da drunten in dem See!
Jetzt kann ich ruhig pirschen im Walde Hirsch und Reh,
Kann mich nun ruhig wärmen an deines Holzes Gluten,
Du brauchst ja doch kein Feuer da drunten in den Fluten.«
Er sprichts und will zurück, doch hält ein Dorngestrüpp' ihn an,
Und immer fester zerrt es ihn mit tausendfachem Zahn,
Da kocht es in der Tiefe, Gewitter steigen auf.
Dumpf rollt ob dem Gebirge der Donner seinen Lauf,
Der See steigt übers Ufer, es glühn des Himmels Flammen,
Und hoch schlägt über dem Mörder die schwarze Flut zusammen. –
– Stumm liegt der See, als ob die Glut
Der Rache wieder schliefe;
Glatt ist die Flut, im Monde ruht
Die unermessne Tiefe –
Die Binsen im Kreise nur leise
Flüstern verstohlener Weise.
Quelle:
August Schnezler „Gedichte“, 2. Auflage,
Creuzbauer und Kasper Verlag Karlsruhe, 1846
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