Rudolf Presber

Das Pferdchen

Damals, ach! – Die Ärzte kamen,
fühlten Puls ihm und Gesicht,
nannten viel gelehrte Namen,
und mein Ohr verstand sie nicht.

Doch im Aug' gelehrter Toren
las ich mehr als die Gefahr,
las ich, daß mein Kind verloren
und der Tag sein Würger war.

»Ruhe, ruh, mein süßes Leben!«
Und er sah mich bettelnd an:
»Willst du mir mein Pferdchen geben,
Mutter, daß ich's streicheln kann?« ...

»Soll er einmal noch sich kräft'gen,
– heut ist schon der neunte Tag –
gebt ihm nichts, was ihn beschäft'gen,
nichts, was ihn erregen mag.«

Also hat der Arzt gesprochen,
eh er wandte sich zu gehn...
wild ans Mutterherz mir pochen
fühlt ich meines Kindes Flehn.

Und ich kanns nach Jahren heute,
kann es nimmermehr bereun,
daß ich vor der letzten Freude
wagte nicht zurückzuscheun.

Daß mit heißem, stillem Danke
für den Wunsch, der ihn noch hält
ich sein Pferdchen sucht im Schranke,
wo er's selbst noch hingestellt.

Und ich gab's und schaute bange,
wie er's fiebernd griff und fest
an die feuchte, heiße Wange
hielt das kleine Pferd gepreßt.

Stürmisch unter müden Rippen
flog sein Herzchen – fieberrot
glüht die Stirn...mit trocknen Lippen
küßt er's leise – und war tot ...

Für mein Sehnen, für mein Lieben,
das ihn Tag und Nacht umfing,
ist er blond und klein geblieben,
wie er damals von mir ging.

Und im blauen Himmelsgarten,
wo die Sterne Blumen sind,
träum' ich müßt' er mich erwarten
als mein einzig liebes Kind.

Wenn nach bangen Erdentagen
er mir dort entgegentritt,
ach, ich weiß, er wird mich fragen:
»Bringst du mir mein Pferdchen mit?«

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