August Schnezler

Vom Mummelsee im Schwarzwald

10. - Der fremde Gast

Verglommen ist schon lange
Der Sonne letzter Strahl,
Da wankt mit müdem Gange
Ein Männlein noch durchs Tal;
Ein Wandrer grau von Bart und Tracht,
Im sanften Antlitz Trauern,
Mit seinem Pilgerstabe sacht
Klopft er an's Haus des Bauern.

Hans riegelt auf den Laden,
Und sieht den Zwerg da stehn,
Solch einen Kameraden
Hat er noch nie gesehn!
Ob der Figur so wunderlich
Möcht' er beinahe lachen,
Fühlt' er nicht insgeheim in sich
Des Mitleids Trieb erwachen.

»Freund, wollt mir doch gestatten
Für heut ein Nachtquartier!
Kaum tragen mich die matten
Gebeine mehr von hier;
Durchwandert hab' ich ohne Frucht
Viel schwere schwüle Stunden,
Ach, und das Ziel, das ich gesucht,
Noch immer nicht gefunden!«

Hans, ohne langes Fragen,
Schließt ihm die Türe auf
Und weist ihm einen Schragen :
»Da, Kleiner, leg' dich drauf!«
Dann geht er selber auch zu Bett,
Sein Gast macht ihm nicht Sorgen,
Und beide schnarchen um die Wett'
Bis zu dem lichten Morgen.

Da rafft sich schnelle schnelle
Vom Lager auf der Zwerg :
»Hab Dank, hab Dank, Geselle,
Für deine Nachtherberg!
Zu diesem Liebesdienst jedoch
Erweis mir einen zweiten,
Reich sey dein Lohn, willst du mich noch
Zum Mummelsee geleiten.

»Fremd bin ich hier zu Lande;
Wohl ahnst du nicht, daß hier.
In diesem Staubgewande,
Ein König steht vor dir;
Ein Fürst von einem schönen See,
Fern dieser Berge Kreise,
Ein Gatte, den unsäglich Weh
Trieb auf so weite Reise.

Zwei Monde sinds gerade:
Lustwandelnd ging allein
An unsrem Seegestade
Mein Weib im Abendschein;
Da plötzlich stürzt auf sie ein Hauf
Von fremdem Seegezwerge,
Und fort mit ihr im Sturmeslauf
Gings über Tal und Berge.

Zu spät erhielt ich Kunde,
Wer malet meinen Graus!
Rings in die weite Runde
Sandt' ich Vasallen aus ;
Umsonst! ich forschte her und hin
An allen Nachbarseeen,
Von meiner blonden Königin
War keine Spur zu sehen,

Da bin ich ausgezogen
Mit diesem Pilgerstab;
Wo nur ein See mag wogen,
Bin ich getaucht hinab!
Jetzt bleibt mir nur die Mummelflut
Noch zu durchforschen heute,
Mir ahnts, dort ruht mein höchstes Gut,
Des Räuber-Königs Beute.

Komm, führe mich geschwinde
Zu seinem Ufer hin,
Und nimm als Angebinde
Dies goldne Fingerlin!
Wenn Blitz dir oder Hagel droht,
So brauchst du's nur zu drehen,
Und Feuers- oder Wassers-Noth
Wird stets dein Haus entgehen!«

An Worten fehlts dem Bauern
Für seine Dankbarkeit;
Voll Staunen und Bedauern
Gibt er ihm das Geleit;
Und als sie vor dem schwarzen Kreis
Des Mummlers endlich stehen,
Da ruft der Zwerg: »Ade! wer weiß,
Ob wir uns wiedersehen?

Doch was mich auch erreichen
Mag drunten für ein Loos –
Mein Stab gibt dir ein Zeichen
Noch aus der Wellen Schoß!«
So taucht er in den finstern Grund,
Drin stets nur Tücke lauert,
Das Bäuerlein am Ufer stund
Von Ahnung bang durchschauert.

Hohl kocht es in der Tiefe,
Schaumblasen wirft der See,
Dem Bauer ists als riefe
Der Abgrund nichts als Weh!
Ja Wehe! denn empor die Flut
Sieht er als Zeichen kommen:
In einem Kreis von rotem Blut
Des Männleins Stab geschwommen.

»So hat er sie gefunden
Die blonde Königin?
Doch ach! nur Todeswunden
Sind seiner Treu' Gewinn!
Fluch dieser Wasser Mörderbrut!
Daß Gott sie einst verschütte!«
Fort von der Flut, mit schwerem Mut
Wankt Hans nach seiner Hütte.

Quelle:
August Schnezler „Gedichte“, 2. Auflage,
Creuzbauer und Kasper Verlag Karlsruhe, 1846


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siehe auch

  • Eduard Mörike: Die Geister am Mummelsee
  • Wilhelm Aloys Schreiber: Der Mummelsee
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