Paul Scheerbart

Das Flammenschwert
Ein Riesengedicht.

Ich stand in Gedanken
Auf dem großen Weltmeer.
Die Sohlen meiner Riesenfüße
Wurden fein gekitzelt
Von schäumenden Wogen.
Ich sah in die Tiefe.
Da zerspritzten wilde Wellenberge
An meinem großen Zeh.
Wie das ich sah, da dacht' ich so:
»Wellenberge, zerspritzt nur immer,
Wenn ihr nichts Bessres zu thun vermögt,
Auch an meinem großen Zeh!
Es tut ja nicht weh!«
Und siehe! da kommt der Erzengel
Lächelnd aus dem Himmel heraus
Herunter zu mir.
In der Rechten hält er
Ein ächtes wackelndes Flammenschwert.
Ich sehe den Engel
Mit lachenden Mienen,
Mit zusammengekniffenen Augen
Wie ein Verliebter an.
Aber nun spricht der gleich:
»Siehst du, hier hast Du ein Schwert!
Bekämpfe mit ihm, die dich bekämpfen!
Streite mit Muth wie ein Held!«
Ich bin starr –
Rufe sofort:
»Erzengel, bist du ein Ochs?«
Und ich wende mich stolz gleich ab,
Gehe glitschend auf den Wellen
Ganz nach hinten in eine Ecke –
Wo die schäumenden Meereswogen
An großen Felsen zerschellen.
Dort denke ich nach:
Ich will mich besinnen,
Ob Riesen jemals Kämpfer waren
... ...
Ich besinne mich nicht. –
„Wirkliche“ Riesen kämpfen nicht!
Denn gegen wen sollten –
Riesen wohl kämpfen?
Und dann noch eins:
»Wer kann wohl kämpfen,
Wenn er nicht hassen kann?«
Ich stand in Gedanken
Auf dem großen Weltmeer,
Sann nach über die Bedeutung
Jenes ächten wackelnden Flammenschwertes ...
»Erzengel bist du ein Ochs?«

(1897)

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