IV. Mären, Geschichten und Schwänke
Gar eilig wandert in den Wald
Ein Fräulein zierlich von Gestalt.
Wie flink die muntren Füsse schreiten,
Bis in des Waldes Einsamkeiten
Verschwiegen sie das Grün umschliesst,
Und jeder Lauscher Ferne ist.
So denkt die Schöne – doch verborgen
Sass hier schon seit dem frühen Morgen
Der kleine Waldgnom Knickebolz
Und schnitzte was aus Eibenholz. –
Es war so still, der Westwind schlief,
Nur fern im Grund die Amsel rief
Und durch die Stämme mit Geflimmer
Kam roth der Abendsonne Schimmer.
Das Fräulein setzte sich in's Gras
Und zog hervor und las und las
In einem rosarothen Brief ...
Sie athmete und seufzte tief.
Mit Augen, die begierig flogen,
Ward schnell der Inhalt aufgesogen,
Sie las ihn wieder, immer wieder,
Ihr Busen wogte auf und nieder,
Sie hat zugleich gelacht, geweint,
Wie Sonne, die durch Regen scheint,
Das Brieflein an das Herz gedrückt
Und oft geküsst.
»Sie ist verrückt!«
So dacht' bei seinem Eibenholz
Der kleine Waldgnom Knickebolz.
»Wie kann ein Mensch von Geistesgaben
Sich so um ein Papierchen haben,
Es ist fürwahr nicht zu verstehn!
Doch möchte ich das Ding wohl sehn,
Worüber diese weint und lacht,
Ob es auch mich so unklug macht.«
Das Fräulein nun in Träumerein
Sah in den roten Abendschein ...
Das Brieflein sank in's grüne Gras ...
Der kleine Waldgnom merkte das
Und schlich heran und stahl den Brief
Und rannte fort und lief und lief,
Bis er sich in den Dämmernissen
Des Waldes mochte sicher wissen.
Schon dunkel ward es rings umher,
Drum freute sich das Männchen sehr,
Als grad sein Vetter Brümmer kam,
Der die Laterne mit sich nahm.
»O Vetter, Vetter, welch' ein Spass!«
So rief er und erzählt' ihm das.
»Nun leuchte mal mit der Laterne!
Ich wüsste für mein Leben gerne,
Wie dies Papierchen nur es macht,
Dass man darüber weint und lacht!
Die Farbe kann es doch nicht sein?
Und der Geruch? Zwar riecht es fein,
Doch jede Rose duftet mehr.
Mit Krakelfüssen hin und her
Ist es gar wunderlich beschmiert
Und nicht zum Besten ausgeziert.
Das Ding ist nichts! Ein rosa Lappen!
Wie kann man davon überschnappen?!
Ich sage: lieber Vetter Brümmer,
Die Menschen werden immer dümmer,
Besonders was die Weiber sind,
Die haben nichts im Kopf als Wind.
Was hilft's, dass Weise drüber lachen?
Es wird sie doch nicht klüger machen,
Denn was nicht grad ist, das ist krumm,
Und was zu dumm ist, ist zu dumm!«
Liebesgedichte -
Waldgedichte
-
Gedichtinterpretationen
-
Gedichtanalysen