Richard Zoozmann / Walther von der Vogelweide
Wenn die Blumen aus dem Grase dringen,
Gleich als lachten sie empor zur Sonne,
Morgens früh an einem Tag im Mai,
Und die Vögel lieblich dazu singen
Ihre schönsten Weisen – welche Wonne
Meinet ihr, daß dieser ähnlich sei?
Ach, man glaubt sich halb im Himmelreiche;
Soll ichs sagen, was ich dem vergleiche,
Wohl! so sag ich, was mein Aug erquickt
Heut und immerdar, wenn ichs erblickt.
Denkt: ein schönes Edelfräulein schritte
Reich- und feingeschmückt die Straße nieder,
Daß sie unterm Volke sich ergeht,
Fröhlich in der Dienerinnen Mitte.
Züchtig blickt sie um sich hin und wieder,
Wie die Sonne neben Sternen steht.
Ach, der Mai mit allen Wundergaben
Kann doch nichts so wonnigliches haben,
Als ihr süßer Leib – mit leichtem Sinn
Gäb ich alle Blumen für sie hin.
Wollt ihr, ob ich Wahrheit künde, schauen?
Kommt zum Mai, wenn festlich er gekleidet
Einzug hält mit seinem ganzen Troß!
Schaut ihn an und schaut die edeln Frauen!
Sagt, für wen der Sieg sich nun entscheidet,
Sagt, ob ich kein bessres Spiel genoß –?
Ja, und wenn mich einer wählen hieße,
Daß ich eines hier fürs andre ließe –
Rasch entschied ich mich: Eh nicht der Mai
März wird, geb ich nicht die Herrin frei!
Walter von der Vogelweide
Sô die bluomen ûz dem grase dringent,
same si lachen gegen der spilden sunnen,
in einem meien an dem morgen fruo,
und diu kleinen vogellîn wol singent
in ir besten wîse die si kunnen,
waz wünne mac sich dâ gelîchen zuo?
Ez ist wol halb ein himelrîche.
Suln wir sprechen waz sich deme gelîche,
sô sage ich waz mir dicke baz
in mînen ougen hât getân,
und tæte ouch noch, gesæhe ich daz.
Swâ ein edeliu schoene frouwe reine,
wol gekleidet unde wol gebunden,
dur kurzwîle zuo vil liuten gât,
hovelîchen hôhgemuot, niht eine,
ein wênic umbe sehende under stunden,
alsam der sunne gegen den sternen stât,
der meie bringe uns al sîn wunder,
waz ist dâ sô wünneclîches under
als ir vil minneclîcher lîp?
Wir lâzen alle bluomen stân
und kapfen an daz werde wîp.
Nû wol dan, welt ir wârheit schouwen!
Gên wir zuo des meien hôhgezîte!
Der ist mit aller sîner krefte komen.
Seht an in und seht an schoene frouwen,
weders dâ daz ander überstrîte:
daz bezzer teil, ob ich daz hân genomen.
Owê der mich dâ welen hieze,
daz ich daz eine dur daz ander lieze,
wie rehte schiere ich danne kür!
Hêr meie, ir müeset merze sîn,
ê ich mîn frowen dâ verlür.
Liebesgedichte -
Frühlingsgedichte
-
Gedichtinterpretationen
-
Gedichtanalysen