Hermann Löns

November

Um meine Stiefel rauscht das Laub
Der nackten Waldesriesen,
Ein graues, trübes Schummerlicht
Umdüstert Wald und Wiesen.

Die Luft ist rau und nebelnass,
Nordwest beginnt zu wehen,
Ein greller, schriller Amselpfiff
Klingt jammernd aus den Schlehen.

Im schwanken Zickzackfluge tanzt
Gespenstig um die Eichen
Der Wintermotten fahle Schar,
Die letzten Lebenszeichen.

Sie treibt der Liebe Peitschenschlag,
Zu suchen ihre Weibchen,
Die hängen flügellos am Stamm
Mit aufgedunsnem Leibchen ...

Zur rechten Hand ein Waidmannssteg
Durch schwarze Tannendichtung,
Und mitten drin, breitästig, schirmt
Ein Buchenbaum die Lichtung –

Es war im Mai und jubelnd hat
Des Buchfinks Sang geklungen,
Was hier geschah, das habe ich
Im kecken Lied gesungen.

O grüner, sonnenheißer Tag,
O Herbsttag, kalt und trübe –
Im Herzen ächzt der letzte Schrei
Der totgetretnen Liebe.

Frostschmetterling und Menschenweib,
Untrennbar mir zu denken!
Wann wird euch Weibern die Kultur
Die Geistesschwingen schenken?

Ein neuer Mai, ein neues Grün
Und frische Liebessuche,
Und doch verlorne Liebesmüh,
Du weißt es, alte Buche.

Ein starker Ast von deinem Stamm,
Ein Strick um meinen Nacken –
Das wär' ein herbstlich Stimmungsbild,
Die Wirkung würde packen.

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